Happy Maha Shivaratri
Schon in unseren ersten Tagen auf Mauritius waren uns die vielen Plakate mit dem hinduistischen Gott Shiva aufgefallen. Ihre Gestalter haben keine Farbe und keinen Schnörkel ausgelassen, sodass man beim Betrachten schreien möchte „Kitsch, komm raus!“. Das Maha Shivaratri Fest ist für den hinduistischen Bevölkerungsanteil der Insel ein wichtiger Feiertag und wird rund eine Woche lang zelebriert. Am ersten Tag versammeln sich die Pilger in den verschiedenen Tempeln der Insel, um einige Stunden später mit floral geschmückten Sänften auf den Schultern Richtung Grand Bassin, dem Haupttempel Mauritius, zu wandern. Da dieser von dem nördlichen Teil der Insel ca. 50 km entfernt liegt, macht es Sinn sich schon ein paar Tage vor Beginn des eigentlichen Shivaratri Festes auf den Weg zu machen. Erst am Freitag wird die Nacht des Shivas im Grand Bassin gefeiert, doch schon zum Anfang der Woche ist ganz Mauritius außer Rand und Band. Aus aufgepimpten Autos, mit Shiva Stickern und Blumengirlanden geschmückt, dröhnt laute Bassmusik im Bollywood-Stil. Die Fahrer lassen dabei lässig ihren Arm aus dem Fenster hängen und grinsen einem mit verspiegelten Sonnenbrillen auf den Nasen zu. Da wir uns das Spektakel nicht entgehen lassen wollen, stehen wir typisch deutsch pünktlich zu Beginn der Pilgerfahrt auf einem Bordstein des Nachbardorfes Triolets und warten gespannt auf die versprochenen Menschenmassen. Da die Sonne mal wieder alles gibt und Schattenplätzchen rar sind, spendiert uns Paul aus dem Supermarkt gegenüber zwei kalte Getränke. Immer mal wieder fährt eines dieser kitschigen Gefährte mit riesigen Bassboxen auf der Ladefläche vorbei, die erwarteten Pilgertruppen bleiben jedoch aus. Die Zeit verstreicht und mit jeder Minute zerfließen ein Stück wir mehr. Wir beschließen lieber an den Strand zu fahren und uns im Meer zu erfrischen. Später am Abend erklärt uns unsere Vermieterin, dass die Pilger zu unterschiedlichen Zeiten aufgebrochen sind, die meisten erst nach Anbruch der Dunkelheit. Diese Chance haben wir wohl verpasst, aber am Freitag, der tatsächlichen Nacht des Shivas, kommen schon viele Pilger wieder zurück und bieten mir so hoffentlich doch noch meine Chance auf bunte, freudige Fotos.
Bei unserem zweiten Versuch haben wir dann endlich Glück und Massen voller traditionell gekleideter Männer und Frauen kommen erschöpft von ihrer Pilgerfahrt zurück zu ihren Tempeln. 100 Kilometer haben sie nun insgesamt zurück gelegt und das Ganze bemerkenswerter Weise in Flip-Flops. Viele haben sich weiße Schals um das Gesicht geschlungen, tragen darüber ihre Sonnenbrillen. Die zuhause gebliebenen Dorfbewohner reichen den Pilgern buntes Wassereis und künstlich aussehende Getränke in Plastikbechern. Uns erinnert die ganze Szenerie ein bisschen an Marathonläufe, nur dass die Menschen hier zusätzlich noch Sänften mit Gottesstatuen auf ihren Schultern tragen. Sie lachen und singen und weichen dabei immer wieder mit ihren teilweise meterhohen Sänften den tiefhängenden Ästen der Mangobäume aus. Eine ältere Frau im Sari schenkt uns im Vorbeigehen ein Wassereis, mit dem wir kurze Zeit später zwei kleine Kinder glücklich machen können. Mit einem riesigen Strahlen im Gesicht machen sie sich über das Eis her. Die Stimmung ist sehr positiv und auch uns als nicht gläubigen Zuschauern schenkt man viele Lächeln und begrüßende Kopfnicken. Das Einzige was einen als Deutschen wundert, sind die vielen Hakenkreuze auf den bunt beschmückten Wagen. Das eigentlich als „Swastika“ bekannte Symbol steht in der hinduistischen Kultur nämlich für Glück. Für uns dennoch gewöhnungsbedürftig, denn das letzte Mal, als dieses Zeichen durch die Straßen Deutschlands getragen wurde, bedeutete das nichts Gutes. Die Swastika wird hier auf Busse gemalt, auf Kleidung gestickt und auch unsere Nachbarn haben ein mit dem Glückssymbol verziertes Eingangstor. Mittlerweile haben wir uns also daran gewöhnt, jedoch wird es im Hinblick auf die Vergangenheit Deutschlands einfach immer eine andere Bedeutung für uns haben, denke ich.
Da uns geraten wurde am Tag des Maha Shivaratri Festes selber nicht zum Grand Bassin zu fahren, da selbst die Pilger 3 Stunden anstehen, um hereingelassen zu werden und schon mehrere Kilometer davor ihre Zelte aufgeschlagen haben, fahren wir erst ein paar Tage später zu der Hauptpilgerstätte Mauritius. Wir fahren durch die Wälder des Black River Gorges Nationalpark, die Luft um uns herum wird angenehm kühl und frisch. Auch der Grand Bassin ist innerhalb dieses Gebietes gelegen und thront hoch in den Bergen über der Insel. Da die Insel vulkanischen Ursprungs ist, ist auch der Grand Bassin ein Kratersee, um welchen herum sich viele kleine Tempel befinden. Nach mehreren kleinen Wegweisern biegen wir schließlich auf die 4-spurige Hauptstraße, die zu der Tempelanlage führt, ein. Schon hier überkommt mich ein eindrucksvolles Gefühl, wie wir so verloren auf unserem kleinen Motorroller die hügelige Straße entlang fahren. Schon aus der Ferne sieht man die 33 Meter hohe Statue des Hauptgottes Shiva in den Himmel ragen. Beeindruckt stehen wir kurze Zeit später direkt unter ihr und verrenken uns die Hälse beim Hinaufschauen. Der Gott Shiva gilt als der Zerstörer und Erhalter im Hinduismus und wir in den Tagen des Maha Shivaratri mit vielen Opfergaben bedacht. Noch jetzt liegen die vergammelten Reste von Kokosnüssen, Blumen und Bananen am Fuße der Statue verteilt. Die Fliegen surren nur so drum herum. Als wir den See erreichen, fällt mir die Geschichte zu seiner Entstehung wieder ein. Der Gott Shiva trug bei einer Reise mit seiner Frau Parvati den Fluss Ganges auf seinem Kopf, um die Welt vor Überschwemmungen zu schützen. Als sie auf Mauritius einen Halt einlegten, weil Shiva seiner Gattin einen der schönsten Plätze auf dieser Erde zeigen wollte, verschüttete er aus versehen das Wasser des Ganges und so entstand der See Grand Bassin. Deswegen nennen die Hindus ihn auch Ganga Talao, den See des Ganges. Der Hinduismus bietet jede Menge solcher Geschichten, die Verbundenheit zwischen den verschiedenen Göttern ist jedoch so kompliziert, dass ich sicherlich ein Jahr brauchen würde, wenn ich zum Hinduismus übertreten wollen würde, denke ich. Es sind immer noch Gläubige in dem Tempel, die betend vor den bunten Götterstatuen stehen. Sie zünden Räucherstäbchen an und ziehen ihre Schuhe aus, bevor sie die Tempel betreten. Die gesamte Anlage ist sehr schön anzusehen, in der Mitte des Sees befindet sich eine kleine Insel. Jedoch haben die Festlichkeiten ihre Spuren hinterlassen. Überall stehen halb abgebaute Gerüste, manch einer hat seinen Flip-Flop verloren und die Ufer des Sees sind überschwemmt mit Opfergaben, über die sich riesige Mengen von Fischen hermachen. Mit vielen neuen Eindrücken im Kopf und den bunten Szenen vor den Augen schwirrend beenden wir unseren kleinen Ausflug in die Religion des Hinduismus und machen uns auf den Heimweg.