Tbilisi – eine Reise in die Vergangenheit
Warum Georgien?
Ende September dieses Jahres besuchte ich ein Land, das zuvor noch nie auf einer meiner Bucket Lists aufgetaucht war: Georgien. Angrenzend an Russland, Aserbaidschan, Armenien und die Türkei ist es kein Reiseziel, das die allgemeine Tourismusbranche des Westens bisher großartig beschäftigt hätte. Doch nach meinem Besuch kann ich nur fragen „Warum?“, denn Georgien bietet ein ähnliches Klima wie Spanien, gleichwertig sagenhaftes Essen wie Italien und ein gastfreundlicheres Wesen als Frankreich. Dabei ist es so unschlagbar günstig und bietet eine einzigartige Reise in die Vergangenheit der ehemaligen Sowjetunion an. Noch – denn immer mehr Leute aus meinem Berliner Umfeld schwärmen bereits von Georgien, als malerischen Kleinod der Reiseziele.
Tbilisi am Lichtermeer
Bei Nacht erstrahlt die an einem Berghang gelegene Stadt in einem kleinen Lichtermeer. Imposante historische Kirchgebäude werden angestrahlt, der Funkturm hoch über Stadt blinkt in bunten Farben und die unzähligen Terrassen der Restaurants laden mit romantischer Beleuchtung zum Verweilen ein. Da man Wein an jeder Ecke bekommt und manchmal ein halber Liter nur 2 Euro kostet, kann man hier getrost die ganze Nacht Bar-Hopping machen. Dazu ein bisschen getrockneter Sulguni-Käse oder andere Tapas-ähnliche Speisen der georgischen Küche – den Foodies unter uns liest die Stadt alle Wünsche von den Lippen ab.
Georgische Gastfreundschaft
Statt Bar-Hopping luden uns unsere Freunde Timur und Vera zum Day-Drinking in die wunderbare Weinbar „Wine Buffet“ ein. Der Besitzer – durch regelmäßige Besuche mittlerweile ein guter Bekannter der beiden – ließ uns verschiedene Weine probieren und kredenzte uns dazu eine köstliche Käseplatte garniert mit getrockneten Früchten und Honig. Die traditionellen Teppiche unter unseren Füßen und das magische georgische Licht durch die Fenster fallend, verbrachten wir – angeregt durch unsere stets vollen Gläser Wein – mehrere Stunden über Gott und die Welt redend in der geschmackvoll eingerichteten Bar. Zwischendurch trat der Besitzer nochmal an unseren Tisch, um uns mitzuteilen, dass er kurz einkaufen gehen würde und ob wir derweil ein Auge auf die anderen Gäste haben könnten. Nach kurzer Zeit war er aber wieder zurück und brachte einen Teller mit einer hiesigen Fleischauswahl an unseren Tisch, welches wir unbedingt kosten müssten. So läuft das hier: Gastfreundschaft geht mit Vertrauen einher, man wird rasch Teil des Ganzen und so schnell lassen einen die Georgier nicht mehr gehen. Für mich als Deutsche ein ungewöhnliches, aber sehr schönes Gefühl.
Architektonisch wertvoll
Schon bei der Auswahl unserer Unterkünfte bei Airbnb, Wochen zuvor in Berlin, schlug mein Interior-Herz schneller. Altbauwohnungen mit Stuck gepaart mit trendy Fliesen, Concrete, Marmor, Großstadt-Dschungel-Pflanzen, Neonlicht-Kunst und Kelim-Teppichen. All diese Wohnungen hätten genauso gut in Paris, New York oder Barcelona zu finden sein können – jedoch bisher niemals erschwinglich für den Durchschnittsmenschen wie mich. Diesmal wollte ich zuschlagen und setzte mich auch gegen Antons jammernde Hinweise, „dass wir lieber in einer authentischen statt stylischen Unterkunft“ wohnen sollten durch. Da unsere Lieblingsunterkunft, die beides zu vereinen schien und auch noch für einen Traumpreis mit 26€ pro Nacht für zwei Personen zu haben war, schon schnell ausgebucht war, wohnten wir die meiste Zeit in etwas weniger authentischen Interior-Magazinen entsprungen zu scheinenden Wohnungen. Diese bestachen jedoch mit einem Ausblick auf den grünen Berghang und Granatäpfel, – sowie Pfirsichbäume in unserem Garten. Doch das tbilisische Wohnglück verspürten wir, denke ich, wirklich erst an unseren letzten beiden Tagen in der Unterkunft auf die wir uns den ganzen Urlaub lang gefreut hatten. Unscheinbar gelegen in einer der zerfallenden Straßen der Altstadt, überraschte uns schon der unglaublich süße Hinterhof, in dem sich die Wohnung im zweiten Stock befand. Gläserne Balkone – mehr selbst zusammen geschustert, als geplant – überwuchert von Weinreben, jauchzende Kinder einem Fußball hinterher jagend, zufrieden dreinschauende alte Männer mit dicken Bäuchen auf einer Bank sitzend und Wein trinkend, magisches Licht in den Gläsern brechend – unsere kleine Oase für die nächsten Tage. Die Unterkunft selbst empfing uns mit viel Licht und Wärme, knarzenden Dielen und einer authentischen Einrichtung mit viel dunklem Holz, Teppichen und bunt bestickten Decken. Als wir hier am nächsten Morgen im Sonnenschein erwachten, zu Jazz-Musik ein einfaches Rührei-Frühstück zubereiteten und dabei den Blick auf die vor unserem Fenster im Wind baumelnden Weintrauben genossen, wusste ich: eine Wohnung muss nicht unbedingt stilvoll eingerichtet sein, sondern einfach ein Herz und eine Geschichte haben. Das war pures Glück!
Estragon, Walnüsse und süßer Wein.
Georgiens Küche habe ich schon bei unsere Reise in den Süden Russlands kennen und schätzen gelernt, aber erst beim Bereisen des Landes selbst stand endgültig fest: ich bin der georgischen Kochkunst endgültig verfallen. Wer mich kennt weiß, dass ich eine Kombination aus salzig & süß, sowie frisches Gemüse sehr schätze. Daher war jeder Blick in die Speisekarten der georgischen Restaurants eine Offenbarung für mich. Gut, dass man oft mehrere Gerichte in Tapas-Größe bestellt und sich so von einem bunt gedeckten Tisch bedienen kann. Auch zu zweit ist das ohne Probleme (wahrscheinlich auch wegen der günstigen Preise) möglich. Neben den Klassikern Hatchapuri und Khinkali waren mit Käse gefüllte Champignons, mit Estragon gefüllte Dorade, der Walnuss-Zwiebel-Tomaten-Gurken-Salat und eingerollte Auberginen mit Walnusspaste bestrichen meine Favoriten. Dazu wird traditionell natürlich immer Wein getrunken – und zwar zu jeder Tages- und Nachtzeit. Ein Kindzmarauli (georgischer süßer Rotwein mit langer Geschichte) begleitet hier fast jedes Essen. Für die Non-Alkoholiker hat Georgien aber auch noch ein Softdrink-Ass im Ärmel: nämlich die giftgrüne sprudelige Estragon-Limonade „Tarchun“, nach der ich seit den zwei Jahren Beziehung mit meinem russischen Freund schon süchtig bin. Während die Kinder der Sowjetunion sich noch heute die Finger nach der erst spät im Land eingeführten Coca-Cola lecken, halte ich in jedem Kiosk Ausschau nach meinem sowjetischen Limonaden-Highlight. Man will eben immer das haben, was man selbst nicht hat.
Mekka der Kreativen
Das kreative Freelancer-Volk versammelt sich in Tbilisi – neben unzähligen hippen Cafés und Bars auf jeden Fall in der Fabrika. Ein ehemaliges Fabrikgebäude, das nun Concept-Stores, Fusion-Restaurants, ein international besuchtes Hostel mit Co-Working Spaces und natürlich einen Fotoautomaten beherbergt. Schon vor unserer Reise speicherte ich mehrere Fotos dieses Ortes bei Instagram ab, nur um dann später auf unserer Reise zu erfahren, dass wir uns hier wie ein Teil des Ganzen fühlen würden, obwohl wir eigentlich im Touristenmodus unterwegs waren. Anton hatte in einem der dort angesiedelten Graffiti-Shops über Freunde die Möglichkeit einen Flash-Day mit seinen Tattoos anzubieten. Während er lokale Motive wie die in jedem georgischen Touri-Laden angebotenen Khinkali-Socken buchstäblich an den Mann brachte, genoss ich mit einer Mädelsgruppe, die wir in der Nacht zuvor in der Bar einer Bekannten kennengelernt haben, einen Prosecco mit Beeren im Café gegenüber. Beide Mädels arbeiten als Sprachlehrerinnen – die eine auf Englisch, die andere auf Französisch spezialisiert. Sie sind Digitale Nomaden, die wie so viele andere die Vorzüge dieser boomenden Kreativstadt genießen und dabei Geld aus dem Ausland beziehen. So lässt es sich hier bei den niedrigen Preisen nämlich wunderbar leben und man profitiert zudem von einem inspirierenden internationalen Umfeld. Denn aus den Gesprächen höre ich heraus, dass es immer mehr junge Leute nach Tbilisi verschlägt. Und so ist auch der Innenhof der Fabrika gefüllt mit hip angezogenen Menschen mit bunten Haaren, Piercings, Tattoos und stets einem Mac-Book unter dem Arm. Als es dunkel wird gehen die Lichterketten über unseren Köpfen an und tauchen das Fabrikgelände in ein romantisches Licht. Die Stimmen der Besucher sind jedoch noch längst nicht verstummt und mischen sich mit der elektronischen Musik, die aus den Cafés schallt – das fühlt sich wie Leben an, denke ich und nehme einen weiteren Schluck aus meinem Glas.