Travel Diary I – South of Russia

Sunflowerfields as a pleasant welcome

Wenn man an Russland denkt, erscheinen einem nicht in erster Linie Bilder von Palmen, Meer und langen lauen Sommernächten vor dem inneren Auge. So steige auch ich relativ erwartungslos in das Flugzeug, das uns nach einigen Tagen Aufenthalt in Moskau in den südlichen Teil des Landes bringen soll. Unser erster Stopp ist die Stadt Rostow am Don, welche als eine der größten Städte in der Russischen Föderation gilt und vielleicht durch die Fußball-WM nun auch in Europa ein Begriff ist. Obwohl wir erst spät am Abend landen, empfängt sie uns mit lauen sommerlichen Temperaturen. Wir sichern uns Plätze in dem nächsten Sammeltaxi, welches uns vom Flughafengelände in die Innenstadt bringt. Es ist zwar schon dunkel, aber dass die Straßen von Sonnenblumenfeldern umsäumt sind, kann ich trotzdem gut erkennen. Dann passieren wir noch das große Fußballstadion, in welcher ein Spiel der diesjährigen WM stattgefunden hatte und mein Blick fällt auf die kleinen Flachdach-Restaurants an den Rändern der Straße. Mit ihren auffälligen Leuchtreklamen und den davor geparkten großen Autos erinnert mich die ganze Szenerie ein bisschen an Amerika, doch die kyrillischen Buchstaben lassen diesen Vergleich nicht ganz zu. Anton stupst mich an und zeigt auf die andere Fensterseite, von wo aus man den Fluss Don in der Ferne erkennen kann. Die Jungs fangen an von den in dem Gewässer lebenden Flusskrebsen – auf Russisch Raki genannt – zu schwärmen und beschließen in den kommenden Tagen auf alle Fälle ein lokales Raki-Restaurant aufzusuchen.

Abandonded Places meet Graffiti

Die Hälfte des ersten Tages verbringen wir auf dem Dach eines alten Fabrikgebäudes, welches ein bisschen außerhalb des Stadtzentrums liegt. Zuvor haben sich die Jungs im Graffiti-Shop ihres Vertrauens noch mit Unmengen Spraydosen eingedeckt und dabei auch an Sasha und mich gedacht. Statt stundenlang auf einem verlassenen Fabrikgelände rumzuhocken, haben wir Mädels in der vorherigen Bar-Nacht mit ein paar Bier intus selbst über einem Entwurf für unser erstes Graffiti gebrütet und sind nun bereit dieses auch in die Tat umzusetzen. Der Shop selbst ist in einer umgebauten Fabrik gelegen und bildet mit Co-Working-Spaces, kleinen Concept-Stores und hippen Restaurants ein begehrtes Mekka für die kreativen Köpfe der Stadt. Während ich mich noch umschaue, bestellt Anton bereits ein Uber und wenig später stapfen wir zu acht durch das verwucherte Gelände rund um die Fabrik. Das Licht fällt wunderschön durch die Äste und wir bedienen uns von Zeit zu Zeit immer mal wieder an den Apfel- und Aprikosenbäumen, die hier wild aus dem Boden wachsen. Außer ein paar Straßenhunden und ein paar Obdachlosen, die sich einige Holzhütten auf dem Gelände erbaut haben und schläfrig in der Sonne liegen, begegnen wir niemanden und man hört nur ganz entfernt das Tosen der Stadt. Ich fühle mich in meine Kindheit versetzt, wie wir ein verlassenes Jägerhäuschen eroberten und denke, dass es solche „Abandoned Places“ bei uns in Deutschland gar nicht mehr gibt. Und wenn dann sind sie gut bewacht oder mit Zäunen umsehen, sodass keiner einen Abenteuer-Ausflug unternimmt. Bevor ich in zwei Wochen also wieder in das Land der Ordnung zurückkehre, genieße ich mein Abenteurer-Dasein und setze den nächsten Fuß auf die rostige, krumme Metalltreppe, die wir nun alle hinauf klettern. Wenig später blicken Sasha und ich amüsiert auf unser rosa-türkises Anfänger-Graffiti, welches in großen Lettern „Vodka“ schreit. Was Besseres ist uns dann doch nicht eingefallen..

Fountains of Russia

In jeden guten russischen Park gehört auch eine Fontäne, die am Abend mit Lichtspektakel und epischer klassischer Musik beschallt wird. Schon Anfang diesen Jahres habe ich in Warschau dieses Überbleibsel des Sozialismus bestaunen dürfen. Auf dieser Reise begegnet mir die Fontänenschau das erste Mal in Rostow am Don. Während sich die anderen auf dem noch warmen Boden in dem umliegenden Park niederlassen und heimlich den Whiskey versteckt in einer Plastiktüte herumreichen (wie auch in Amerika ist der Alkoholkonsum an öffentlichen Plätzen verboten), geselle ich mich zu den anderen Schaulustigen. Verliebte Pärchen, Familien mit Kindern und in Gespräche vertiefte Freundinnen – zusammen mit der dramatisch klingenden Musik und der riesigen Statue aus Sowjetzeiten, die hoch über dem Geschehen wacht, kommt mir das nostalgische Freizeitangebot beinahe gestaged vor. Bevor ich mich jedoch allzu sehr in meinen „Truman-Show“-Gedanken vertiefen kann, kommt Anton theatralisch tanzend auf mich zugelaufen und lachend, sowie im Takt der Musik wippend machen wir uns auf den Weg zurück zu unserer Gruppe.

Gather and feast in Rostov-on-Don

„In Rostow kann man nicht viel machen, aber eines, das kann man nirgends anders so gut – und zwar Essen gehen.“ Diese Aussage konnte ich schon am ersten Abend unterschreiben, nachdem wir in einer kleinen, sehr fancy eingerichteten Pizzeria delikate Pizzen mit Roastbeef oder Lammfleisch verputzt hatten. Auch an diesem Abend schlendern wir durch die verlassenen Straßen, in denen sich nur vor den Bars oder Restaurants Menschengruppen versammeln. Jedes Lokal, in das wir einkehren überrascht erneut mit originellem Interior, einer ausgeklügelten Speisekarte und einer besonderen, und vor allem großen, Auswahl an Craftbeer. Das Schlemmer-Bar-Hopping gefällt mir von Anhieb an und mein Interior-Herz pocht beim Anblick von lichterfüllten Hinterhöfen mit coolen Outdoor-Möbeln und langen Marmortafeln mit integriertem Bäumchen immer schneller. Während wir uns auf dem Weg in die nächste Bar machen, fassen meine Augen immer wieder neue Details auf. Die verschnörkelten Häuserfassaden bröckeln und unzählige Blumen ranken an ihnen empor, manche Häuser sind von hölzernen Verandas umsäumt und an den Straßenrändern parken alte Autos aus Sowjetzeiten, die bei uns sicherlich nicht durch den TÜV gekommen wären. Die ganze Szenerie wird von den vereinzelten Straßenlaternen, an denen die Stromkabel tief hängend befestigt sind, in ein nostalgisches Licht getaucht. Mein Gehirn, das zum ersten Mal eine osteuropäische Stadt im Süden zu Gesicht bekommt, versucht permanent meine neuen Eindrücke einzuordnen und vergleicht Straßenszenen Woodstocks in Kapstadt, Nächte in Barcelona und kreatives Lokal-Flair Berlins mit der Kulisse Rostows am Don, um dann immer wieder verblüfft festzustellen, dass dies hier einfach echt einmal etwas Neues ist.

Krasnodar by night

Der nächste Stopp auf unserer Reise ist die Stadt Krasnodar, welcher wir in erster Linie auf Grund des Graffiti-Festivals „Show your Flow“ einen Besuch abstatten. Auf unserem Weg mit dem Bus zu unserem Airbnb-Apartment fällt mir als erstes auf, dass in fast jedem zweiten Schaufenster Brautmode ausgestellt ist. Es ist schon dunkel, aber die weißen Kleider leuchten einem von überall entgegen. Wie auch in Rostow am Don, ist es hier noch unglaublich warm und nachdem wir uns frisch gemacht haben, stellen wir die Klimaanlage auf 20 Grad und verlassen unsere pompös-russisch eingerichtete Wohnung, um noch ein bisschen durch die Stadt zu schlendern. Da es Wochenende ist, ist die berühmteste Straße Krasnodars, die „Rote Straße“, zur Flaniermeile umfunktioniert und statt verrückt fahrenden, tiefergelegten Pimp-my-Ride-Karren spazieren unzählige Menschen die bunt beleuchtete Straße entlang. Aus den Lautsprechern, die in regelmäßigen Abständen wie Laternen die Straße säumen, schallt Chart-Musik und wir passieren die verrücktesten Stände. Neben den gewöhnlichen Essens- und Getränkeständen kann man hier auch Videospiele spielen oder sich über interessante Themen mit Fremden unterhalten. Nach einiger Zeit kehren wir in einen Hinterhof ein, welcher einen verrückten Foodcourt namens „Funky Food“ und die Bar Hopkins beherbergt, auf deren Besuch ich mich persönlich schon gefreut hatte. Die Barbesitzer Gleb und Nastja haben wir nämlich in Berlin bereits zu Anfang des Jahres getroffen und zu dem Zeitpunkt hätte ich nicht gedacht, dass ich es tatsächlich einmal in ihre Bar schaffen würde. Gleb schenkt hier die verschiedensten Arten von Craftbeer aus, welches er von seinen Reisen mitbringt oder in der Region einkauft. Schon in Berlin hat er uns in puncto Craftbeer gut beraten und so genieße ich auch in Krasnodar auf seine Empfehlung hin ein Bier mit leichtem Cassis-Geschmack. Die Bar, wie auch der Foodcourt sind so kreativ und liebevoll eingerichtet, dass ich wieder einmal versuche diesen Ort irgendwie einzuordnen, wo doch Teile der Stadt so vernachlässigt und verwildert aussehen. An den Wänden der Bar hängen Kunstwerke der befreundeten Graffitikünstler und die ganze Community nimmt mich herzlich und interessiert auf. Es werden viele Fragen zu Berlin gestellt und mir erzählt, wie belustigend es alle fanden, dass die Touristen der Fußball-WM immer wieder berichteten, wie anders Russland sei, als sie es immer gelesen hatten. Und auch ich stelle fest, dass es hier weit mehr zu sehen und zu bewundern gibt, als ich es mir am Anfang meiner Reise vorgestellt hatte.

About Crayfish and Handshakes

Am letzten Tag, bevor alle wieder abreisen wird noch gemeinsam in einem lokalen Fischrestaurant gegessen. Wieder einmal kommen die Flusskrebse ins Gespräch, die hier ebenso wie in Rostow am Don typisch Russisch in einer Brühe gewürzt mit ordentlich Dill serviert werden. Der Geschmack von Dill wird mich für immer an Russland erinnern, denn in so vielen russischen Gerichten kann man ihn herausschmecken. Die Flusskrebse sind schwerer zu knacken als Scampis, schmecken dafür aber umso intensiver. Zur Feier des Tages bestellen Anton und ich noch ein paar Austern dazu, um schon mal einen Vorgeschmack auf das Meer zu bekommen, zu welchem wir am morgigen Tag einen Ausflug geplant haben. Danach zerstreut sich das heitere Grüppchen langsam und ich verteile meine letzten High-Fives. Denn das ist eine weitere kulturelle Erfahrung gewesen, die ich schon bei meiner erste Russlandreise gemacht habe: Männer begrüßen sich mit Handschlag, Frauen kriegen bei der ersten Begegnung oftmals nur ein High-Five. Was ich, aus einem Land stammend, in welchem Gleichberechtigung stetig vorangetrieben wird, als unfair empfunden oftmals beleidigt aufgenommen hatte, ist nach Antons Erklärung der Auffassung geschuldet, dass Frauen mehr verdienen als einen Handschlag. Und tatsächlich merkt man nach einiger Zeit des Zusammenseins, dass die lasche Begrüßung keinesfalls weniger Respekt oder Interesse bedeutet. Man muss es nur wissen und sich darauf einstellen. Trotzdem scheint meine Thematisierung Gehör gefunden zu haben und so wird mir als Verabschiedung, neben vielen Umarmungen, manchmal bewusst und mit einem kecken Grinsen die Hand gereicht.

Would you like to drink a Kvass with me?

Wenn man Russland besucht, wird man wohl nicht darum herumkommen, wenigstens einmal einen Kwas zu trinken. „Kwa-wie?“ werden sich die meisten von euch wahrscheinlich jetzt fragen und auch ich war mir vor dieser Reise nicht wirklich bewusst, worum es sich dabei handelt. Laut Wikipedia ist „Der Kwas oder Kwaß ein Getränk aus dem ostslawisch-sprachigen Raum, das durch Gärung aus Brot hergestellt wird. Kwas ist heute überwiegend in Russland, Weißrussland, der Ukraine und dem Baltikum verbreitet“. Laut meinen Erfahrungen sollte das Getränk in jedem Fall kalt genossen werden und erinnert ein wenig an Malzbier. Im Süden von Russland begegnet man dem Kultgetränk an jeder Straßenecke in Form von gelben runden Getränkeautomaten, die den Trunk nicht wie erwartet in Flaschen- oder Dosenform auswerfen, sondern in einem kleinen süßen Becher servieren. Dieser fällt per Knopfdruck automatisch zur Hälfte heraus, um daraufhin mit der bräunlichen Flüssigkeit befüllt zu werden. So kann man die heißen Temperaturen direkt auf russische Art und Weise bewältigen und erfrischt weiter den interessanten Mix aus sozialistischer Architektur und alten Stuckgebäuden erkunden.