Travel-Diary II – South of Russia
A night in the wild
Von Krasnodar fahren wir gen Schwarzes Meer, um auf der Hälfte des Weges einen Stopp am See Abrau für eine Nacht einzulegen. Auf unserer Fahrt passieren wir wieder jede Menge wunderschöne Sonnenblumenfelder, deren Blumen alle ihren Kopf in Richtung Sonne strecken. Danach geht es durch ein Gebirge, das mich mit seinen hellen Felsen und trockenen Gewächsen an Südfrankreich erinnert. Irgendwann fahren wir eine, um den Berg geschlängelte, Landstraße hinab und zwischen den hier wieder sehr grün bewachsenen Bergen erscheint türkises Wasser in der Ferne. Während ich schon glaube am Meer zu sein, erklären mir die Jungs, dass es sich bei dem Gewässer um den See Abrau handelt, den größten in der Region Krasnodars. Während wir auf Nastja und Gleb warten, die ein bisschen hinterherhängen, parken wir am Rande des Sees und laufen den Weg zu einem charmanten Café, das mit weißen Holzstühlen auf der Veranda, die beschützt unter großen Pinienbäumen stehen, einen romantischen Eindruck macht. Von dort aus hat man einen tollen Blick auf den See, in dessen Hintergrund die Berge dicht bewuchert thronen. Als die Gruppe wieder vereint ist machen wir uns auf den Weg, um einen geeigneten Rastplatz für die Nacht zu finden. Am Hang des Sees in einem kleinen Waldstück bauen wir unsere Zelte auf und sammeln Holz für unser geplantes Barbecue. Da die Temperaturen uns wieder Schweißperlen auf die Stirn getrieben haben, fühlt sich das Wasser im See so herrlich erfrischend an und so dümpeln wir darin herum, bis die Sonne langsam untergeht. Auf unseren selbst gebauten Grill kommen Teriyaki-Spieße, die Nastja und Gleb bereits zuhause vorbereitet haben, frisches Gemüse und Kartoffeln. Dazu trinken wir Craftbeer aus der Region, das in recycelten Plastikflaschen am Straßenrand verkauft wird. Die Sterne fangen an über uns zu funkeln und während die anderen russische Klassiker mitsingen, schließe ich die Augen und denke: wie herrlich so ein Ausflug in die Natur doch sein kann!
Daydrinking at Russia's most famous winery
Die Gegend rund um den See Abrau eignet sich aufgrund der milden Temperaturen und der leicht bergigen Landschaft perfekt zum Weinanbau. Deshalb liegt auch das berühmteste und älteste Weingut Russlands „Abrau Durso“ in mitten dieses schönen Fleckchens Erde. Berühmt ist das Weingut jedoch vielmehr für seinen Champagner, welcher zur Zeiten der Russischen Revolution um 1905 durch das Anwerben des französischen Champagnerherstellers Victor Dravigny’s erstmals auch auf russischem Boden produziert wurde. Da die Local’s während der ganzen Fahrt von diesem Ort erzählt haben, lasse ich es mir nicht nehmen, auch nach einer unruhigen Nacht im Zelt und lediglich einer Katzenwäsche im See mit Anton Champagner testen zu gehen. So folgen wir wenig später einer Frau im weißen Kittel durch die Champagnerkeller Abrau Dursos. Die schwarzen Glasflaschen liegen verstaubt in Regalen bis unter die Decke gestapelt und rustikale Kronleuchter weisen uns den Weg durch die unterirdische, angenehm kühle Champagner-Landschaft. Auch in der Fabrik machen wir einen kurzen Halt und sehen die fertigen Flaschen eine nach der anderen über das Fließband rollen. Nach dem anschließenden Tasting, das uns jedoch nur die hauseigenen Weine offenbart, da wir auf das Champagnertasting eine Stunde hätten warten müssen, treten wir beschwipst den Rückweg an – stets darauf achtend den Anschluss zu unserer Gruppe in dem dunklen Gewölbe nicht zu verlieren. Obwohl die Weine – einer nach dem anderen – wirklich gut auf der Zunge zergingen, kommen wir natürlich nicht darum herum einen Champagner als Mitbringsel zu kaufen. Den wollen wir dann am Meer trinken, nehmen wir uns selig grinsend vor, als uns der Fahrtwind wieder um die Nase weht.
Seaside without seagulls
Da ist es endlich, das Meer. Umgeben von weißen heruntergekommenen Plattenbauten und mit Blick auf einen Industriehafen. “Was solls“, denke ich und breite mein Handtuch auf grauen, flachen Steinen aus, “Meer ist Meer.“ Da unser Mietauto keine Klimaanlage besitzt und der Vermieter netterweise ein Duftbäumchen mit der Geruchssorte „Bubble Gum“ hineingehängt hat – was das Schwitzen nicht wirklich erleichtert hat – kann ich es gar nicht abwarten, mich in das dunkelblaue, ruhige Meer zu stürzen. Während die Jungs Graffiti in der Nähe vom Strand sprayen, genieße ich zum ersten Mal das Meer in diesem Urlaub. Auch, wenn statt dem typischen Möwengeschrei nur Unmengen von Tauben, angefüttert von den am Strand sitzenden Großfamilien, flatternd auffliegen. In der Sonne bratend, wandert mein Blick über die anderen Meerbesucher. Ein alter Mann, dessen Haut faltig und tiefbraun einer durchgesessenen Ledercouch gleicht, breitet eine kleine Isomatte aus, die er provisorisch mit einem Gürtel für den Transport zusammengebunden hat. Daneben stellt er seine Thermoskanne und legt sich zufrieden in die Sonne. Ein kleines Mädchen jagt zwischen uns die Tauben und ein paar Kinder schubsen sich gegenseitig immer wieder von einer knallgelben Luftmatratze ins kühle Nass. Die Stadt Noworossijsk, zu welcher der Strand gehört, macht einen heruntergekommenen Eindruck, die Menschen, die ich zu Gesicht bekomme, scheinen oft aus ärmlicheren Verhältnissen zu stammen. Trotzdem gefällt mir ihre Art sich am Meer zu versammeln, zu baden und die Sonne zu genießen und dazu kommt mir Antons oft übersetztes russisches Sprichwort in den Sinn:“What we have, we are happy of it.“
A night(mare) on the Platzkart
Nachdem wir unseren letzten Abend in Krasnodar bei unseren Freunden in der Hopkins Bar verbracht haben, geht es für uns mit dem Uber zum Bahnhof. Ausgestattet mit einem „Blinkebap“ – ein Kebap im Blini (russische Pfannkuchen) – laufen wir das Gleis entlang, um am Ende des Zuges in das Zugabteil namens Platzkart einzusteigen. Die günstigste Art Russland zu bereisen war mir schon von meinem ersten Besuch im vergangenen Winter ein Begriff, jedoch ist das Reisen mit dem Platzkart im Sommer eine vollkommen andere Nummer. Schon von außen bemerke ich mit Grauen die beschlagenen Fensterscheiben des Zuges und beim Besteigen des Schlafwagons schlägt mir die bittere Wahrheit in Form eines heißen, stickigen Luftschwalls entgegen. Während ich das letzte Mal noch vollkommen aufgeregt und interessiert durch den Zug geschlichen bin, schlängele ich mich nun deprimiert dreinschauend zwischen nackten Füßen und dickbäuchigen Männern entlang, bis wir endlich an unserem Platz angekommen sind. Drei Betten gehören uns, auf dem vierten liegt bereits ein junges Mädchen, dass sich schüchtern ihre Decke bis unter das Kinn zieht. Vielleicht hätte ich den Blinkebap wirklich gemocht, aber in dieser Situation will ich wirklich nur noch, dass die Zeit vorbei geht und ich endlich lange duschen kann. Anton versucht mich aufzuheitern, nimmt meine Hand und hält sie tief unter die Decke. Ob ich auch den Luftzug spüren würde, denn der Zug wäre doch mit einer Klimaanlage ausgestattet. Keinen Luftzug verspürend, lächele ich müde und mache widerwillig mein Bett für diese Nacht. Ein Glück schlafe ich oben und Pasha öffnet, nachdem der Zug angefahren ist, endlich heimlich das Fenster. Weshalb niemand vorher auf diese Idee gekommen ist, das ist mir wirklich ein Rätsel, denke ich und falle in einen unruhigen Schlaf.
Welcome to Sochi
Am Morgen wache ich davon auf, dass der Zug erneut mit einem Ruck stoppt und ein weiterer Schwall Passagiere den Zug verlässt. Ich schaue aus dem Fenster und mein Blick fällt auf einen wunderschön ruhig daliegenden Strand und das stille Meer, das nur ganz seicht immer mal wieder angespült wird. Die Sonne ist gerade erst aufgegangen und nun passieren wir kleine Häuser, in deren Vorgärten große Bananenstauden wachsen. Wieder einmal versuche ich die Szenerie zuzuordnen – exotische Pflanzen, Steinstrände, Meer, Pinienwälder, Zypressen, malerische Häuser. Schon bald kündet der Lautsprecher Sochi als nächste Station an und da wir unser Airbnb erst später beziehen können und es gerade mal 8 Uhr früh ist, beschließen wir erstmal zum Meer zu gehen und zu baden. Das Meer ist hier so klar und viel heller als noch am gestrigen Tag. Durch den leichten Wellengang klimpern die Steine in hohen Tönen aneinander und außer uns sind nur wenige Menschen unterwegs. Das kühle Nass macht mich nach dieser stickigen Nacht unfassbar glücklich und stets unser Gepäck im Blick behaltend, lasse ich mich eine halbe Ewigkeit vom Meer tragen.
The feeling of Garden Eden in Sochi
Nachdem wir die letzten Tage Sonne satt, das glasklare Meer, traditionelles georgisches Essen und jede Menge knallgrüne Estragon-Limonade genossen haben, beschließen wir an dem heutigen Tag den Botanischen Garten Sochis zu besuchen. Da man tagsüber zu dieser Jahreszeit in Sochi jedoch fast nichts anderes machen kann, als in klimatisierten Räumen auf den Abend zu warten oder alle fünf Minuten im Meer schwimmen zu gehen, vereinfachen wir uns unseren Ausflug ein wenig, indem wir den am Hang gelegenen Garten von oben hinunterlaufen, statt andersherum Treppen steigen zu müssen. Dafür ziehen wir ein Ticket für die hoch über dem Garten schwebende Seilbahn, die uns vom Fuße des Berges hinaufzieht. Oben angekommen hat man eine herrliche Aussicht auf Sochi – die grünen Berge, die Dächer der Stadt und schließlich das sich weiterstreckende Meer. Wir passieren eine Palmenallee, legen eine Pause an einem verwunschenen weißen Brunnen ein, der von pinken Blumenbüschen umsäumt ist und lassen den botanischen Mix aus exotischen und südeuropäischen Pflanzen auf uns wirken. An den kleinen Ständen im Park werden neben Kwas auch mit einer Fruchtmasse überzogene aneinandergereihte Nüsse verkauft, die laut Anton eine traditionelle Spezialität der Kaukasus-Region sind. Obwohl sie mich optisch erstmal nicht überzeugen, da ich wieder einmal einen extrem süßen Geschmack dahinter vermute, so schmecken sie letztendlich eins zu eins wie die mir bekannten Fruchtschnitten. Während Anton und Pasha sich bei dem kleinen Tiergehege über die Sträuße amüsieren, entdecke ich ein kleines Gewächshaus, dessen Decke wild mit Efeu bewuchert ist und mit großen Bananenstauden zum Erkunden einlädt. Auch die alte prachtvolle Villa der Parkanlage, sowie der vorgelagerte Brunnen, erwecken zusammen mit der bunten Pflanzenwelt einen paradiesischen Eindruck. Das Licht fällt golden durch die Äste, die Vögel zwitschern in den Bäumen und ich fühle mich tatsächlich ein bisschen wie in Garten Eden.
Rainy mountains but sunshine in our hearts
Unseren letzten Tag in Sochi verbringen wir in den Bergen des Kaukasusgebirges, welches man schon nach einer einstündigen Autofahrt erreichen kann. Unser Taxifahrer fährt einen äußerst modernen Geländewagen, hat aber Frau, Kind und verwunderlicherweise auch seinen Papagei mit an Bord. Dieser piepst immer mal wieder, wenn wir in die Kurve gehen und krallt sich an den Gitterstäben seines Käfigs fest. Die Straßen sind seit langer Zeit mal wieder richtig gut und ohne Schlaglöcher versehen, was wohl der Tatsache geschuldet ist, dass hier erst im Jahr 2014 die Olympischen Winterspiele stattgefunden haben. So übersetzt mir auch Anton die Erzählung unseres Fahrers, der auf Russisch munter drauf los redet, dass die Gebirgsstadt Krasnaja Poljana auch erst richtig für die Spiele erbaut wurde. Davor sei hier nur ein kleines Dorf gewesen und auch die moderne Schnellstraße hätte noch nicht existiert. Die Gegend um uns herum wird immer grüner und kleine reißende Flüsse fließen zu den Seiten der Straße. In Krasnaja Poljana angekommen kaufen wir uns einen Skypass und besteigen die erste rundum gläserne Seilbahn, die uns zu dem höchsten Punkt des Berges bringen soll. Das satte Grün der Wälder leuchtet uns entgegen und je höher wir fahren, desto mehr fällt das moderne Olympiadorf eingebettet in das massige Gebirge unter unseren Füßen zurück. Immer mal wieder müssen wir aussteigen und mit unserem Pass den nächsten Lift besteigen. Mittlerweile hängen die Wolken tief in den Bergen und die Sicht wird immer nebeliger, die Luft immer feuchter. Und dann fallen die ersten Regentropfen. Doch wir lassen uns davon nicht entmutigen, Anton erwirbt einen gelben Plastikregenmantel in der kleinen Holzhütte für mich und weniger später sitzen wir in einer unüberdachten Sesselbahn. Noch freuen wir uns auf den Wasserfall, der am Ende dieser Fahrt auf uns warten soll. Bis es dann anfängt wie aus Eimern zu schütten und wir beim Anblick von uns selbst und den anderen pudelnassen Besuchern nicht mehr aufhören können zu lachen. Schon nach kurzer Zeit sind wir bis auf die Unterwäsche durchnässt, doch die Sesselbahn tuckert langsam weiter vor sich hin. In der Ferne hört man ein Donnergrollen und nachdem wir endlich an der nächsten kleinen Holzhütte angelangt sind, verzichten wir dankend auf den Wasserfall und wärmen uns bei einer heißen Hühnerbrühe erstmal ein bisschen auf. Natürlich wäre es schöner gewesen, wenn wir uns noch mehr hätten anschauen können, denke ich bei der Rückfahrt – aber das sind doch die Situationen auf Reisen, an die man sich ein Leben lang grinsend erinnern wird.