Über den Dächern von Kapstadt
Um 7 Uhr in der Früh klingelt unser Wecker. Durch die Vorhänge scheint schon die morgendliche Sonne, aber wir fühlen uns noch nicht so wirklich fit. Nach einem schnellen Frühstück geht es auch schon zum Fuße des Lion’s Head, denn dort sind wir um halb 9 mit Thys verabredet. Unser Ziel ist es, den Berg, der über Camps Bay, Clifton Bay und Sea Point thront gemeinsam zu erklimmen. Paul und ich tragen Jeans und T-Shirt, aber angesichts der vielen Menschen in Sportklamotten wird uns schnell bewusst, dass das wohl die falsche Kleiderwahl war. Die Teerstraße, die sich um den Lions Head schlingt ist vollgeparkt mit Autos, welche teilweise gefährlich nah am Abgrund zu stehen scheinen. Durch lichte Wälder hindurch hat man einen tollen Blick über die Stadt, die noch ganz ruhig im Morgendunst daliegt. Thys begrüßt uns mit einer herzlichen Umarmung und mit einem prüfenden Blick auf unsere Jeans. Er selbst trägt als gebürtiger Südafrikaner natürlich auch Sportkleidung und sagt: „Oh, I should have told you!“ Noch sind wir aber ganz motiviert, denn der Anfang des Weges besteht aus rotem Sand und festgetretenem Geröll, was noch nicht auf die Notwendigkeit von Jogginghose und atmungsaktiven Shirt schließen lässt. Ein ganz normaler, wenn auch mit ordentlichem Gefälle versehener Wanderweg, denke ich. Als Kind zweier Wanderbegeisterten, die mich und meine Schwester durch die Samaria- Schlucht auf Kreta oder einmal um den Uluru in Australien geschickt haben, ein Klacks.
Die Vegetation wird, je höher wir wandern, immer lichter und aus den anfänglichen, exotisch aussehenden stacheligen Büschen, werden feine Gräser und zarte Blümchen in kräftigen Farben. Hinter mir kämpft ein Mann, der hier tatsächlich joggt, gegen die Steigung an. Sein Atem hört sich gar nicht gesund an, denke ich und mache voller Bewunderung Platz für den fleißigen Sportler. Mir stehen nämlich so langsam auch schon die Schweißperlen auf der Stirn und das, obwohl wir normalen Ganges voranschreiten. Die atemberaubende Aussicht macht die Anstrengung jedoch allemal wett. Wir betrachten die Dächer Kapstadts von oben und die Strände Clifton Bay, Camps Bays und der unendlich erscheinende Atlantik liegen uns zu Füßen. Wir genießen die klare Luft und die Ruhe weit über dem Stadtrummel und mit jedem Schritt scheint man dem Himmel ein Stück näher.
Plötzlich endet jedoch der relativ entspannt zu laufende Part des Wanderweges und mündet in einem steinigen Kletterpark. Um hier voranzukommen, muss man sich an Felsen hochziehen und genau aufpassen wohin man seinen Fuß setzt. Während ich hochkonzentriert eine Metallleiter hochklettere, leuchtet mir auch der Nutzen von Sportkleidung ein. Hinter jedem Felsenabschnitt, den ich erklommen habe, hoffe ich das Ziel vorzufinden. Aber die Kletterei scheint kein Ende zu nehmen. Wir sind nicht die einzigen Menschen auf dem Lion’s Head, weshalb es immer mal wieder zu Warteschlangen in schwindelerregender Höhe kommt. Nachdem mein Körper Sauna- Temperaturen erreicht hat, stehen wir nun endlich auf der Steinplattform hoch oben auf dem Gipfel des Lion’s Head. Viele unserer Leidensgenossen sitzen am Rande des Berges und genießen den wohlverdienten Blick auf den Mix aus Stadt, Landschaft und Meer. Nach einer kurzen Verschnaufpause treten wir auch schon den Rückweg an. Bergab ist dieser natürlich nicht so anstrengend, aber dafür umso gefährlicher. Der Sand, der die Steine zum Teil bedeckt bringt so manch einen ins Schlittern und die Höhe der Felsen erscheint von oben viel größer als bergauf. Während ich noch versuche meinen Fuß sicher abzusetzen, erzählt Thys uns, wie viele Menschen hier jedes Jahr ihr Leben verlieren. Meine Hand greift daraufhin noch ein bisschen fester in den Felsvorsprung. Nach einer halben Ewigkeit erreichen wir endlich wieder den Eingang des Wanderweges. Erschöpft, aber glücklich. Das Frühstück, das wir jetzt zu uns nehmen werden, wird mit Abstand das wohlverdienteste Frühstück meines Lebens sein, denke ich und träume bereits von Bacon, Baked Beans und Rührei.